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Form Follows Function Follows Form – Thomas Niemeyer
The artistic exploration of the everyday often generates a strangely detached view of the imageof the normality of the world we live in. On the other hand, practically all objects of utility are designed and add an aesthetic dimension to life. The images generated by Şakir Gökçebağ’s art are also derived from the forms and materials of everyday objects. Plastic buckets, garden hoses, tape measures, combs, clothes hangers, roofing felt, or carpets – the works on display at the Städtische Galerie Nordhorn evolved from all sorts of products that clearly belong to the range of household supplies or a hardware shops. However, even at the first glance, the original function of the things from which Gökçebağ made his objects and installations is almost completely obliterated. And yet, the applied products and materials are still recognisable and remain equally significant within the newly evolved structure.
From an art-historical perspective, this outwardly abstract procedure also reveals the tradition of an important social area of tension that was the object of reflection in 20th century art. Despite the aesthetic qualities of modern-day commodities, their functionality is still perceived as the ultimate key to understanding them. We have thoroughly internalised the mantra of industrial modernity according to which form follows functions. As popular and apparently absolute as this phrase may be, it has strictly speaking never been true. During the process of its design, every function of an object allows for alternatives, meaning that the final shape is always the result of decisions which exceed functionality. In the context of design,these formal decisions always follow aesthetic criteria.
The fact that the concept of modernity is still clearly defined by so-called functional design stems from a certain notion. The late 19th century saw the radical departure from the lavish decorations and the display of splendour favoured by the wealthy representatives of the early bourgeoisie. Design based on this rejection of embellishment followed the guiding principle of the industrial era. Much like the broadly available new products, beauty was to become common property. Obviously, the economic side of this concept was a style of design, which had to comply with the standards of low-cost industrial production.
Initially the artistic response to the industrial aesthetics was hesitant and manifested itself in very different forms. The first decided commitment to these new forms came from the Futurists, whose works and writings revealed an especially ardent faith in progress. Since then, artists have found different ways to explore urbanity and the world of work with machines, mass printings, or consumer goods in their works – sometimes playfully, sometimes critically.
Marcel Duchamp developed the most radical position on the aesthetics and application of industrial products in art with his Readymades, the unaltered appropriation of commercial objects. This initially private experiment started in 1915 and was to trigger one of the most important turning points in art of the 20th century with a delay of more than five decades. Above all, Duchamp’s Readymades challenged the authority of an artistic system, which based its appraisal of artworks on predefined criteria, rules, and judgements of taste. While this invention is viewed as an artistic rebellion today, it was only acknowledged by a handful of Duchamp’s close friends at the time. It was not before the 1960s, when a widespread social debate about the culture of consumerism, advertising, and mass media started to take hold, that the significance and topicality of Marcel Duchamp’s ideas became apparent. For art, this meant an enormous and ongoing increase of possibilities and liberties.
The freedom to question the one-dimensionality of usage is a fundamental element in Şakir Gökçebağ’s work. The questions he formulates are by no means only critical or negative, but convey an infectious delight in surprising transformations. Inspired by the original forms, he invents entirely new, mostly purposeless appropriations and orders.
Nonetheless, there is an implicit system of rules connecting all these free experiments with forms. The industrial artefacts used in these works have an inherent technical structure. The forms and images the artist develops from them follow the idea of geometry with the same kind of regularity. For a long time, ornamentation played a secondary role in art. In design and especially in architecture, however, it served as the poetical expression not only of the idea of an object, but also the cultural code of its origins. Of course, the essence of forms continues to reside beyond rational application. All it takes is the (artistic) liberty to view one’s own culture and its products from a new perspective. Thus, Şakir Gökçebağ’s art is primarily a both humorous and enigmatic poetryof reality.
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Form folgt der Funktion folgt der Form – Thomas Niemeyer
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen erzeugt oft einen merkwürdig distanzierenden Blick auf das Bild von Normalität unserer Lebenswelt. Andererseits sind so gut wie alle gebräuchlichen Dinge gestaltet und verleihen dem Leben eine ästhetische Dimension. Auch die Kunst von Şakir Gökçebağ gewinnt ihre Bilder aus den Formen und Materialien alltäglicher Dinge. Plastikeimer, Gartenschläuche, Maßbänder, Kämme, Kleiderbügel, Dachpappe oder Teppiche – die in der Städtischen Galerie Nordhorn gezeigten Werke entstanden aus allerlei Produkten, die eindeutig dem Sortiment eines Haushaltswarenladens oder eines Baumarktes entstammen. Doch schon die erste Begegnung mit Gökçebağs Objekten und Installationen lässt die eigentliche Funktion der Dinge, aus denen sie gemacht sind, beinahe vollständig vergessen. Das besondere ist dabei, dass in seinen Werken die verwendeten Produkte und Materialien stets noch als solche zu erkennen sind und gleichberechtigt in der neu entstandenen Struktur enthalten sind.
In dieser vordergründig abstrakten Vorgehensweise lässt sich kunstgeschichtlich auch die Tradition eines wichtigen gesellschaftlichen Spannungsfeldes zeigen, das in der Kunst des 20. Jahrhunderts reflektiert wurde. Trotz der ästhetischen Qualitäten, die Gebrauchsgegenstände heute haben, gilt die Funktionalität nach wie vor als ein wesentlicher Schlüssel zu ihrem Verständnis. Zu sehr haben wir das Mantra der industriellen Moderne verinnerlicht, dass nämlich die Form der Funktion folgt. So bekannt und scheinbar allgemeingültig dieser Satz bis heute sein mag, er ist genau genommen niemals wahr gewesen. Jede Funktion eines Gegenstandes lässt bei der Formgebung auch Alternativen zu, so dass die endgültige Form immer das Ergebnis von Entscheidungen ist, die über das Funktionale hinausgehen. Wann immer von Gestaltung die Rede ist, dann folgen diese Formentscheidungen ästhetischen Kriterien.
Dass die Vorstellung von Moderne dennoch bis heute klar von sogenanntem funktionalem Design geprägt wird, liegt an einer sich dahinter verbergenden Idee. Im späten 19. Jahrhundert begann eine radikale Abkehr von üppigem Zierrat und einer bourgeoisen Lust an der Prachtentfaltung, wie sie dem wohlhabenden frühen Bürgertum zu eigen war. Gestaltung, die auf dieser Ablehnung von Schmuck aufbaute, folgte einem zentralen gesellschaftlichen Leitbild des Industriezeitalters. Ebenso wie die Verfügbarkeit neuartiger Produkte für Jedermann sollte auch die Schönheit ein Allgemeingut werden. Die wirtschaftliche Seite dieses Leitbildes war selbstverständlich eine Gestaltung, die den Maßstäben preiswerter industrieller Produktion zu genügen hatte.
Die Kunst reagierte auf die industrielle Ästhetik zunächst zögerlich und in sehr unterschiedlicher Form. Ein erstes klares Bekenntnis zu den neuen Formen kam beispielsweise von den Futuristen, in deren Werken und Schriften sich insbesondere eine glühende Fortschrittsgläubigkeit offenbart. Immer wieder haben sich seitdem Künstler auf unterschiedliche Weise in ihren Werken mit Urbanität und Arbeitswelten, mit Maschinen, Massendruckerzeugnissen oder Konsumgütern beschäftigt – mal lustvoll, mal kritisch.
Die radikalste Position jedoch in Bezug auf die Ästhetik und die Verwendung industrieller Produkte in der Kunst entwickelte Marcel Duchamp mit seinen Readymades, der unveränderten Übernahme handelsüblicher Objekte. Dieses 1915 begonnene, zunächst private Experiment sollte mit gut fünf Jahrzehnten Verzögerung eine der wichtigsten Wendungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts auslösen. Duchamp stellte mit seinen Readymades vor allem die Autoritäten eines künstlerischen Systems infrage, das jede Bewertung von Kunstwerken auf festgelegte Kriterien, Regeln und Geschmacksurteile gründete. Was aus heutiger Sicht wie ein künstlerischer Aufstand erscheint, wurde seinerzeit aber nur von ganz wenigen Vertrauten Marcel Duchamps überhaupt wahrgenommen. Erst in den 1960er Jahren, als sich eine breite gesellschaftliche Debatte mit der Kultur von Konsum, Werbung und Massenmedien zu beschäftigen begann, zeigte sich auch die ganze Brisanz von Marcel Duchamps Ideen. Für die Kunst bedeutete das seither eine enorme Erweiterung ihrer Möglichkeiten und Freiheiten.
Die Freiheit, die Eindimensionalität es Gebrauchs zu hinterfragen, ist ein wesentliches Element in Şakir Gökçebağs Werk. Doch er formuliert solche Fragen keineswegs nur kritisch oder verneinend, sondern vielmehr mit einer ansteckenden Freude an überraschenden Verwandlungen. Von den bestehenden Formen inspiriert, erfindet er ganz neue, meist zweckfreie Verwendungen und Ordnungen.
Dennoch gibt es so etwas wie ein unausgesprochenes Regelwerk, das all diese freien Formspiele verbindet. Soweit industrielle Artefakte verwendet werden, wohnt diesen von vorneherein eine technische Struktur inne. Die Formen und Bilder, die der Künstler daraus entwickelt, folgen mit einer ebensolchen Regelmäßigkeit der Idee der Geometrie. In der bildenden Kunst hatte das Ornament lange Zeit eher eine Nebenrolle zu spielen. In der Gestaltung und vor allem in der Architektur verkörperte es dagegen auf poetische Weise die Idee des Objektes sowie den kulturellen Code aus dem es stammte. Natürlich liegt der Geist der Formen auch heute noch jenseits des rationalen Gebrauchs. Man muss sich nur die (künstlerische) Freiheit nehmen, die eigene Kultur und ihre Produkte neu anzusehen. So zeigt sich die Kunst von Şakir Gökçebağ vor allem als eine heitere und hintergründige Poesie der Wirklichkeit.