17. Januar 2019

Margret Schütte

deutsch

Cuttemporary
Schönheit und Vergänglichkeit – Dr. Margret Schütte

Şakir Gökçebağ wählte in Anlehnung an Pablo Picasso den Leitspruch „Das Geheimnis der Kunst liegt darin, dass man nicht sucht, sondern findet.“ Oft genug als ein Beleg unter vielen für Pablo Picassos ausgeprägtes Selbstbewusstsein angeführt, gibt Gökçebağ den Worten ihren eigentlichen Sinn zurück. Denn im Original und im Zusammenhang lautet das Zitat: „ Wenn uns ein Neugieriger, ein Journalist oder ein Kunstliebhaber besucht, erwartet er, wir müssten von vorgefassten Gedanken und Definitionen überströmen, die unsere Kunst erklären oder ihr gar einen lehrhaften Wert geben; das lehne ich ausdrücklich ab. Man möchte uns nicht nur als Schöpfer von Bildern anerkennen, man möchte uns auch zu Theoretikern und Schlagwortfabrikanten machen. […] Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen definiere: Was ist Kunst? Wenn ich es wüsste, würde ich es für mich behalten. Ich suche nicht, ich finde“ so in seinem Selbstbekenntnis von 1926 und schon 1923 hat er sich gegenüber Marius de Zayas geäußert: „ Wenn ich male, ist meine einzige Absicht zu zeigen, was ich gefunden habe, und nicht, was ich suche.“ Wenn diese Äußerungen in manchem auch etwas holzschnittartig anmuten, so wird doch deutlich, dass in der Abwehr des „Theoretisierens“ die Angst vor der Reduzierung auf nur eine mögliche Deutung steckt, und wir erkennen eine Beschreibung des Glücks der Kreativen, denen die Depression einer Schaffenspause erspart bleibt.

Şakir Gökçebağ gehört zu diesen Kreativen; er zeigt, was er findet: Eine Vielzahl von Eindrücken scheint auf eine sich ständig erneuernde Kreativität zu treffen. Installationen im Raum oder auf der Fläche, dann festgehalten in der Photographie oder auch mit Nadel und Faden bearbeitete Photographien, offenbaren Anregungen, die alltägliche Dinge – scheinbar alltägliche Dinge – ausgelöst haben. Er löst sie aus dem sie umgebenden Alltag, verfremdet sie, sie verlieren ihre Alltäglichkeit und werden zur künstlerischen Idee. Das Ding emanzipiert sich von seiner Funktion und unseren Vorstellungen. René Magritte hat unsere Aufmerksamkeit für eine Pfeife gewonnen, indem er unter ihre Darstellung schrieb, dass sie keine Pfeife sei, weil die Darstellung ein Gemälde und eben keine Pfeife ist (Ceci n’est pas une pipe, 1929). Was sie dann alles sei, liegt sozusagen im Auge des Betrachters. Cadeau (1921) von Man Ray ist eben ein Geschenk – zu nichts nütze, denn nie würde man mit diesem Bügeleisen, das um eine Reihe spitzer Polsternägel in der Mitte der Unterseite bereichert wurde, etwa eine Seidenbluse bügeln; es hat sich von der Funktion, die wir ihm zugedacht haben, emanzipiert und entspricht in seinem Nutzen (oder besser: fehlenden Nutzen) dem vieler Geschenke. Durch die Verfremdung erhalten das Gemälde und das Objekt eine Vielzahl von Bedeutungen, die der Vielzahl der Assoziationen des Betrachters entsprechen; und es erfährt unsere Aufmerksamkeit.

Şakir Gökçebağ bewegt sich zwischen Spiel und Ernst, zwischen Witz, Gedankenspielen und unseren Assoziationen. Sorgfältig angeordnete Schuhe verbindet er dekorativ mit überlangen Schnürsenkeln, den Schaft eines echten schwarzen Gummistiefels schneidet er akkurat in gleich breite Ringe, die unregelmäßig vor einer Wand zu schweben schei- nen die dünnen Stangen eines Wäscheständers verbinden sich mit Streifen oder regelmäßigen horizontalen Schnitten in den Wäschestücken nicht darauf, sondern darunter, Mehrere Kabel mit jeweils zwei Steckern in Steckdosen an der Wand bilden ein Ornament, und spiegeln ein nicht existentes Netz vor. Anordnung, Struktur, Farbe, Licht und Schatten lassen Dinge zu künstlerischen Ideen werden. Alles das kann er auch mit Obst und Gemüse – mit Bohnen, Pfefferschoten und Paprika, mit Melonen, Äpfeln und Granatapfelkernen. Weder geht es um Eat Art, noch um ein zum Kunstwerk erklärtes Festessen. Es geht um Schönheit, um Kostbarkeit, die wir sonst höchstens während eines kurzen Augenblicks zwischen Tüte und Topf erleben. Und die uns jetzt, sich in der Anordnung stets erneuernd, vor Augen steht: Aus den Pfefferschoten wird eine Schlange, die sich windet, die Melonenspalten werden zu miteinander verbundenen Sternen, einer Blume, einer Sonne, werden ein „kubistisches“ Gebilde, zeigen ihr rotes, wasserhaltiges, weiches Inneres und ihr hell- und dunkelgrün glänzendes, hartes Äußeres, flache, grüne Bohnen ordnen sich zu einer rhythmischen Aussage wie auf Notenlinien, mit klaren Trennungsschnitten oder bilden ungleichmäßige Kreuze, im Zentrum akkurate Quadrate; Granatpfelkerne in hell- bis dunkelroten Tönen bilden filigrane, amöbe Strukturen oder ordnen sich feucht glänzend zum Quadrat.

Es sind vergängliche Kunstwerke, die ihre kurzlebige Existenz einem genauen Schnitt, einer perfekten Anordnung der geschnittenen Teile, Konzentration und Schnelligkeit verdanken. Sie führen uns die Schönheit dessen vor Augen, was wir oft genug gedankenlos, ohne hinzuschauen, uns einverleiben. Aber die Gedanken müssen nicht weit laufen, um den Schritt von Obst und Gemüse zur Schönheit, zumindest aber zur Einmaligkeit des Lebens zu machen und das mit ebenso viel träumerischer Leichtigkeit wie Ernsthaftigkeit.

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